Homo Genesis: Zukunft durch Individuation – Equilibrierung - Determination
VON J MICHAEL HEYNEN
Abstrakt
Das vorliegende Essay kritisch-programmatischer Reflexion beschreibt einen konzeptionellen Rahmen über die Imperative zivilisatorischer Transitionsprozesse als individuell-gesellschaftliche, equilibrierende Evolution. Dabei steht die Kategorie innerer und äußerer Welten des Menschen im Mittelpunkt, die gegenseitige Komplementarität von kognitiv-ästhetischer Individuation und gleichzeitiger Universalität als Bestimmung noumenal-transformativer, zukunftsfähiger Weiterentwicklung von Gesellschaften zu identifizieren.
Einführung
Am Anfang war nicht das Wort, sondern Geist und Bewusstsein. Der daraus abgeleitete Wille schöpfte die Energie des Urknalls, das Universum entstand: die äußere Welt, ebenfalls ein Raum des freien Willens. Im Rahmen der metaphysischen, dann physischen kosmischen Gesetzlichkeit wurde in der Folge der Heimatplanet der heutigen menschlichen Zivilisation geschöpft, belebt also von einer führenden Essenz, einer intrinsisch hybriden Essenz, um die gegenseitige Komplementarität von Idee und Realität evolutionär zu beherrschen.
Dieser Prozess sogenannter Equilibrierung gewährleistet, Geist zu verlebendigen, Leben zu vergeistigen – als primäre treibende Energie schrittweiser Transition und Evolution. Leben so begriffen, das forciert die Frage: Ist die heutige Entwicklung des Menschen noch in Kohärenz und Konkordanz mit dieser universellen Entwicklungsgesetzlichkeit? Wer ist der Mensch seiner Zukunft? - Die Korrelation von inneren und äußeren Welten gibt Aufschluss im Rahmen kritischer Selbst-Reflexion hin zur Aktualisierung anstehender Entwicklungspfade zivilisatorischer Transition und Transformation.
I. STATUS QUO : ZEIT UND RAUM
Beginnend mit der industriellen Revolution hat die mesnchheitliche Entwickung spätestens in den letzten fünfzig Jahren ein Zeitalter erreicht, das als Anthropozen bezeichnet wird: die weitgehende Beherrschung des Planeten durch den Menschen.
Komplementär zu dieser Entwicklung setzte eine zunehmende Entgeistigung ein, denn die anthropozenische Beherrschung ist eine im wesentlichen physisch-materielle. Menschen, Gesellschaften und ihre Staaten entkoppelten sich vom Selbst und der Suprematie des Geistes, alloziierten ihr Sein weitgehend im Unterbau als Haben und technisch funktionale Dominanz. Kulturell-geistig bestehende Bindungen und Entwicklungen wichen rein existentiellen Existenzbewältigungen mit endlos scheinenden Ressourcen.
Bei dieser Bewältigung geht es bis heute um privat-öffentlich / oligarchisch-autokratisch konkurrierende Kräfte egozentrischer Profit- und Machtkonzentration unter Maßgabe rein materiell begriffener „Verteilungsgerechtigkeit“. Die anthropozenische Beherrschung hat sich damit – umgekehrt proportional zum äußeren Fortschritt - vom Menschen, von Humanität entkoppelt und die formale Handlungsmacht weitgehend auf die Seite der Systemagenten verlagert. Humane Prinzipalität ist paralysiert.
Dies gilt auch für die im Sinne humaner Politikmodelle und Systeme fortschrittlichen sog. westlichen, demokratisch-rechtsstaatlich verfassten Staaten. Sinn-, transparenz-, kompetenzfreie Regierungsprozesse wahren demokratische Formen und entleeren Gesellschaft und Staat – materiell wie immateriell.
Politische Macht ist auf verwaltende Handlungsmacht formaler Legitimation mit hohem Kontroll- und Bürokratieaufwand reduziert, substantielle Gestaltungsmacht ist das große Vakuum, das mit alten, je variierenden Politikmodellen – zumeist ideologisches Politmarketing und egozentrische Ersatzprojektion – zu befüllen versucht wird. Hoch-komplexe Scheinregulierung und inszenierte Krisen, Konflikte und Kriege camouflieren das strukturelle Legitimationsdefizit und tatsächlich autokratisch-feudalistische Herrschaftssysteme in demokratistischer Manier. Der Mensch wird zur Person, Leben zur Funktion.
Dabei entgeht dem kritikfähigen, aufgeklärten und analytischen Menschen nicht, dass derartige Herrschaftssysteme weder auf der Mikro-, noch auf der Makroebene zukunftsfähig funktionieren können sowie offensichtlich ungeeignet sind, eine menschengerechte Ordnung, geschweige eine Weltordnung zu begründen und dynamisch verstetigend zu etablieren. Irritation, Disharmonie und Desorientierung sind die vorherrschende Konsequenz. Erstarrung durch sich ständig wiederholende antiquierte, dogmatisch-ideologische Machtformate autokratisch-imperialer Scheingröße bewirkt endgültigen Legitimationsverlust, Auflösung im Chaos und schließlich vollständige Paralyse.
Entgeistigung, Entkopplung, Entleerung bedingen Entropie, Verödung und Nihilismus; auch quantitative Beherrschungsversuche durch künstliche Intelligenz werden freilich hier keine Abhilfe schaffen, denn sog. Transhumanismus ignoriert oder negiert die unerschöpfliche Kreativität und kognitive Qualität menschlich-metaphysischer Potentiale. Diese aber gründen im inneren Raum des Menschen, der sich im äußeren Raum aktuell erschöpft hat. Und hier – im inneren Raum – liegen die Quelle und der Grund für zivilisatorische Transition, die einen Quantensprung beschreibt. Denn am Ende ist es immer wieder der Mensch selbst: der Phönix aus der Asche.
II. METAMORPHOSE: INNEN UND AUSSEN
Wer der vorstehenden Anamnese zustimmt, ahnt den Grund des zivilisatorischen Rückschritts: der zunehmende Verlust der äußeren Freiheit als Konsequenz der selbst verschuldeten Aufgabe innerer Freiheit. Jedenfalls in der westlichen Zvilisation kamen die Väter des Freiheitskampfes aus der inneren Bestimmung der Freiheit, um die Bedingungen der äußeren danach zu organisieren und zu ordnen. Die äußere Verfasstheit wurde wesentlich zum Spiegelbild der inneren.
Heute ist die äußere Welt in zunehmender Unordnung, da ihre Bedingungen weitgehend von inneren Bestimmungen entkoppelt oder diese nicht als führende identifizierbar und wirksam sind. Für eine drängend erscheinende Lage der Transition erscheint eine Schubumkehr im Sinne bewusster Willensbildung zur Identifikation und Dynamisierung notwendiger Wechselpotentiale unausweichlich:
1. Innerer und äußerer Raum
Der Neo-Platoniker Augustin hat die Erkenntnis von Innen und Außen vermittelt. Danach ist der Mensch ein hybrides Wesen, in dem innere und äußere Welten zusammen kommen. Und dennoch entfaltet Menschwerdung klar unterscheidbare Bewegungsmodalität je nach Raum, in dem die jeweilige Aktivität zentriert ist: Sein oder Bewusstsein. Innerer und äußerer Raum beschreiben also verschiedenartige Quellen und Potentiale, Lebensprozesse zu aggregieren und Leben zu erfüllen.
Während der äußere Raum den der bedingten und begrenzten Inkorporierung und Materialisierung in der Außenwelt, also den Raum der lernenden Kommunikation, der sinnlichen Erfahrung, der materiell-physischen Lebensbewältigung usw. beschreibt, ist der innere Bereich als Raum sämtlicher Bewusstseinsprozesse zu charakterisieren und wie folgt einzuordnen:
Der innere Raum birgt das entwickelnde, autonome Potential nicht nur der geistigen und seelischen Verarbeitung äußerer Erfahrungen, sondern die sui generis initiierten Determinanten denkender und fühlender Prozesse. Dabei wird das emanzipierende Selbst zum Träger lernenden und wahrnehmenden Bewusstseins, das die treibende Energie der Ideen-, Wesens- und Willensbildung erzeugt und immer wieder und weiter qualitativ skaliert. Verstand und Vernunft helfen dabei, gedankliche Entwicklungen und Ergebnisse als Zwischenschritte zu ordnen, verfügbar zu halten, um sie, einem Regelkreis entsprechend, ans Bewusstsein zurück zu geben und mit Fühlen wie Denken zu korrelieren.
Dieser Prozess ist - als innerer beherrscht - autonom und also die Grundlegung individueller Freiheit, da er der sinnlichen Erfahrung und somit der möglichen äußeren, begrenzenden Beeinflussung vollständig entzogen ist. Im Gegenteil zur äußeren Welt ist die innere nicht an Bedingungen gebunden, also unbegrenzt und für universelle Endlosigkeit und Ewigkeit offen. Die Innenwelt des Menschen ist folglich geeignet, das Absolute, die Totalität seines Selbst zu entwickeln und zu realisieren. Diese innere, gestaltende Realität aus unbegrenzter Imaginierung und Visionsbildung erfüllt und prägt die jeweilige Persönlichkeit, formiert das Bewusstsein einer einzigartigen Essenz. Damit ist auch - analog zum Universum - eine stets expandierende Entwicklungsdynamik geistig-psychischer Identität und Energie beschrieben.
2. Subjekt und Objekt
Mit der Unterscheidung zwischen Innen und Außen vergleichbar, beschreibt die Differenzierung von Subjekt und Objekt die zentrale Funktion eines intelligiblen, wahrnehmenden Bewusstseins des Menschen (in Anlehnung an Karl Jaspers). In der Identifikation des Menschen als Subjekt jenseits der reinen Objektfunktion liegt die emanzipative, unabhängige, somit immer individuelle Bewältigung des Seins – je aus dem einzelnen Selbst, der eigentlichen Menschwerdung gemäß den Potentialen und Dimensionen seiner inneren Welten.
Während das Objekt äußere, verregelbare, quantifizierbare Materialität bis hin zu wissenschaftlicher Objektivation verfügbar hält, ist das Subjekt Träger geistiger und seelischer, fühlender und kognitiv erfassbarer Prozesse inklusive den Dimensionen des Absoluten und der Totalität. Das Objekt bezieht sich auf normierende / normierte Quantität und Bedingtheit, auf Form und Symbol, das Subjekt auf unbegrenzte Qualifizierung / Qualität und Bestimmung, auf Substanz und Sinnstiftung, auf Idee und deduzierten Willen.
Objektivität befragt Beweisbarkeit und äußere, bedingte Wahrheit, die Subjektivität generiert innere Weltbewegung und Vorstellung sowie Prozesse der Entscheidungs- und Wahrheitsfindung. Das Subjektive führt die innere Welt aus Idee und Wille als treibender Kraft, das Objektive bietet materiale Formung und serielle Bedingung existenzieller Umsetzung und Entfaltung.
Subjekt und Objekt beschreiben ein gegenseitig komplementäres Verhältnis, sie zu entkoppeln bedeutet, Geist zu „entkörpern“ und Leben zu „entgeistigen“, seinen Sinn zu entleeren. Und ein Leben ohne Sinn und Sinnlichkeit aus Subjektivität wird „objektiv“, zugleich kalt und nihilistisch, vor allem am wenigsten menschengerecht. Das Subjekt braucht also das Objekt, um Geist zu verlebendigen, und das Objekt braucht das Subjekt, um Leben zu vergeistigen, den Grund und die initiatorische Energie des Bewusstseins, das Sein human zu formen.
Im ablaufenden Anthropozän hat die materiell-technische Beherrschung den Menschen zu fast vollständiger Objektivation verführt. Und transhumane Quantifizierung marginalisiert Gesellschaften zu vereinheitlichten, steuerbaren Massen, die in der Scheinsicherheit des versklavten Kollektivs eine Art von Sein durch Haben ersetzen und „Sinnfreiheit“ kompensieren. Der Mensch wird unter Aufgabe seiner Subjektivität zum Objekt, individuell begründete Freiheit des Subjekts wird zur „objektiven“ Bedrohung des polit-ökonomisierten oder öko-politisierten Systems.
In der Folge hinterlassen Nihilismus, innere Leere und vegetative Existenz eine äußere Welt ohne humane Idee und Imagination, ohne Vernunft und Phantasie – also all das, dessen es jenseits aktueller kleinteiliger Systemrelevanz des Objektiven eben als Voraussetzung erfolgreicher wie zukunftsfähiger Transition so not-wendend bedarf. Diese Einschätzung provoziert die Frage: Wie können Menschen und Gesellschaften diese Sackgasse jeder Art von humaner Weiterentwicklung üerwinden?
3. Individuation und Introversion
Die Lernfähigkeit des Menschen basiert auf Erkenntnis und Erfahrung, letztere kann der Erkenntnis dienen. Zugleich verfügt die Erkenntnis – der Bereich des inneren Raums – über wesentlich weitergehende Dimensionen, die sie unabhängig von der Erfahrung im äußeren Raum stellt und darüber erhebt: die Dimensionen der Kognition, Reflexion, Imagination und Kontemplation sowie Einfühlung und innerer Wahrnehmung als Verfahren a-priorischer Erschließung komplementärer innerer und äußerer Welten.
Aus dem Seinsprozess des Kindes wird das zunehmende Bewusstsein des erwachsenden Menschen entwickelt. Diese Art von Emanzipation – einem Quantensprung gleich – bewirkt die Umkehrung in die Suprematie Geist gestützter Selbst-Bestimmung, die Autonomie des Subjekts, also abhängig von bewusster Erkenntnis Führung und Verantwortung aus seiner inneren Welt zu schöpfen und im Äußeren zu korrelieren und zu kommunizieren. Erst diese Öffnung nach Innen, Introversion, schafft die Grundlegung innerer Führung aus dem Selbst, um dem Absoluten, der Totalität des Inneren des Menschen Raum zu geben und – je bedingt relativierend – im Äußeren zu repräsentieren.
So reift der Mensch zum Individuum, zugleich verstärkt er die Potentiale als freies, kommunikatives Gesellschaftswesen. Und weiter: Der Mensch als Subjekt der jeweiligen Individuation, aus der Unendlichkeit seines Bewusstseins geleitet, ist sich nach außen seiner Relativität in der physisch-materiellen Realität weitgehend bewusst und wählt adäquate Positionen und Prozesse, sich sozial und legitim gesellschaftlich zu verorten. Seine innere Formung wird zum kreativen Impuls, zur Inspiration gesellschaftlicher, gewaltfreier Willensbildungs-, Entscheidungs- und qulitativer Wachstumsprozesse.
4. Equilibrierung und Elevation
Der Mensch wird von der Person zum Menschen – vergleiche oben – durch seine naturhaft angelegte Hybridität: innere und äußere Räume, Transzendenz und geistige Welten mit realen und materiellen zu korrelieren. Bewusstsein und Sein zu verschränken, privilegiert und befreit in die unabhängigen Potentiale universeller Verfügung und Gestaltung. Umso wesentlicher ist die Kapazität des Menschen, das Interface zwischen Innen und Außen, zwischen Subjekt und Objekt – einem Regelkreis vergleichbar – und Lern- wie Lebensprozesse daraus zu begreifen und zu gestalten.
Dieses Verfahren der Equilibrierung ist eine vertikale (Rück-) Verbindung aus und mit dem Selbst des Subjekts. Dabei übernimmt das Bewusstsein die Führung, der Prozess ist zugleich und zuerst ein seelischer. Die Seele, noch Teil des inneren Raums, ist die wahrnehmende Verbindung nach außen, das innen geprägte Auge in die äußere Welt. Imaginierendes, kontemplierendes, schauendes Finden und Lernen verbinden Subjektivität und Objektivität, verbinden innere und äußere Impulse, inspirieren und fazilitieren.
In dieser Art Equilibrierung liegt eine der größten Herausforderungen menschlicher Interaktion zu vermuten, denn innere Totalität trifft auf die Realität, das Absolute auf das Relative, die Bestimmung auf Bedingtheit, der Gestaltungswille des Geistes auf Endlichkeit und Bedingtheit des Physisch-Materiellen. So ist es ein spezifisches Lern- und Leistungsvermögen des Menschen und insbesondere seiner steten seelischen Entwicklung, potentiell gegensätzliche energetische „Aggregatzustände“ anzunähern, adäquat zu koordinieren, integrativ zu balancieren und Ursachen und Wirkungen möglichst transformativ zu harmonisieren.
Für diese Verbindung und transformative Erfüllung steht dem Menschen jedenfalls ein Lösungsweg zur Verfügung: die Dimension der Ästhetik und der Kulturen mit all ihren multiplen Gestaltungs- und Ausdrucksebenen. „Objektive“ Realität wird gebunden und sinnlich sensibilisiert, hohes Bewusstsein ästhetisch geerdet. Das sich erlebende Seelische wird zum dynamisierenden Zwischenraum, vermittelt und moderiert innere und äußere Welten und Wahrnehmungsprozesse zwischen Substanz und Form. Die Verstetigung dieser Equilibrierung führt zu einer Art ständiger Transition und Transformation.
So mutiert das A-Posteriorische zum A-Priorischen und öffnet das Bewusstsein zu einem kreativ wirksamen Subjekt in zunehmend reaktiver Objektivität. Auf diese Weise werden vertikale und horizontale Equilibrierung gekreuzt und emanzipativ fusioniert: das Objekt subjektiviert und das Subjekt objektiviert, also Leben vergeistigt und Geist verlebendigt! Die Mitte, das „arithmetische Mittel“ daraus entstehender Entscheidungs- und Handlungsprozesse des individuellen Menschen wird kognitiv und kommunikativ gehoben und beschreibt eine dauerhaft verfügbare Elevation als Kernelement menschlicher Entwicklungsdynamik: die Begründung des Kultrmenschen.
Die equilibrierende Lösung von Subjekt-Objekt-Unterschieden und Gegensätzen kann der Erfüllung des Menschen dienen, eine Realität aus seinen Träumen und Phantasien, Visionen und Imaginationen zu formen. Dem Kulturmenschen – jeweils aus Freiheitlichkeit und Friedlichkeit – kann so auch gelingen, konkordante Gesellschaftswelten der Humanität zu konfigurieren und zu gestalten, die sich eine adäquate Staatlichkeit verordnen, soweit es einer solchen dann noch bedarf.
5. Freier Wille und Gesellschaften
Das Bewusstsein bestimmt das Sein. Also umfasst der innere Raum (vgl. oben) die Grundlage der Freiheit, die Ursache des freien Willens. Individuelle Totalität, das Absolute, geläutert durch Geist und Reflexion, Gefühl und Kontemplation, normieren die Bestimmung des Subjekts. Diese ausschließlich inneren Prozesse werden durch adäquate Kommunikation und Verhandlung mit und in dem äußeren Raum verbunden. Die innere Bestimmung wird mit den äußeren Bedingungen korreliert und equilibriert (vgl. oben) auf diese Weise entstehen freie Gruppen, Gesellschaften und unbegrenzte zwischengesellschaftliche Interaktion.
Freilich können Gesellschaften existieren, die sich unter Verzicht auf individuelles Bewusstsein und freien Willen (volonté de tous) ausschließlich aus einem kollektiven Willen (volonté generale) konstituieren. Dabei werden die Bedingungen der Realität zur Bestimmung erhoben, das Sein bestimmt ein begrenztes Bewusstsein, das der sog. Erkenntnis in die Notwendigkeit folgt. Dies kann aus einem letztmaligen Akt freier Wahl resultieren, aber auch auf physischer oder psychisch vermittelter Gewalt basieren. Wenn also die Normquelle ausschließlich im äußeren Raum liegt, wird der innere zum Fluchtpunkt einer geistigen und seelischen Emigration. Die Dominanz des äußeren Konformitätdrucks löst die menschenwürdige Verbindung innerer und äußerer Welten auf und opfert individuelles Sein einer zumeist ideologischen und/oder religiösen Totalität und Verabsolutierung, die im äißeren Raum jeder Legitimation entbehren. Die Ausblendung menschlicher Subjektivität führt zu Versklavung, geistiger Verelendung, Nihilismus, Morbidität und insgesamt zu gesellschaftlichem Verfall; eine Zukunft nach Maßgabe wenigstens menschenwürdiger Existenz ist so wohl unerreichbar (vgl. oben).
Existenz und Zukunftsfähigkeit einer Gesellschaft bedürfen also der Verlebendigung durch Geist und der Geistführung ihrer Entwicklung. In ständiger Equilibrierung sind die Änderungs- und Transitionsprozesse innerer und äußerer Normquellen einzuordnen, zu adaptieren, in Verhandlung auszugleichen und die Willensbildung – aus individueller Freiheit – zu koordinieren. Diese Funktion der Repräsentation formt das Regieren und erzeugt die Staatlichkeit, die sich eine Gesellschaft zur Beherrschung ihrer Lebensbedingungen geben kann, so lange und soweit der kategorische Imperativ (Kant) noch nicht wesentlich erfüllt ist.
Die Staats- und Regierungsform der konstitutionellen Monarchie und insbesondere die der rechtsstaatlichen Demokratie sind besonders geeignet, die Objektivierung subjektiver Gesellschaftsdynamiken zu organisieren und synthetisch zu korrelieren. An dieses Regieren sind allerdings die wohl höchsten Anforderungen gestellt: Maximale Legitimierung zu minimal notwendiger Regulierung, konsequente Förderung individuell-gesellschaftlicher Freiheitsräume, uneingeschränkte Transparenz, personale Integrität und Professionalität. Andernfalls erstarrt Regieren zur Form, entleert die gesellschaftlichen Ressourcen, delegitimiert staatliche Macht und kehrt das durch die Gesellschaft anvertraute und verliehene Machtmonopol des Staates um gegen die Substanz seiner auftragsgemäßen Existenz. Feudal-autokratische Überdehnung staatlicher Funktionen und – vor allem in den Außenpolitiken früh erkennbar – (post-) imperialistische Politiken konterkarieren Freiheit und Frieden gesellschaftlicher Lebensbedingungen. Nach Erstarrung der Staatlichkeit übernimmt dann die Gesellschaft wieder die entleerte Form, um sich substantiell neu aufzustellen. Der oben beschriebene Prozess der Subjekt-Objekt-Equilibrierung ordnet innovativ und stiftet zugleich real legitimierte Souveränität, wenn die a-priorische Erkenntnis vor allem den historischen Prozess einbezieht: Die Gesellschaftsdynamik, aus dem individuellen freien Bewusstsein und Willen geschöpft, gewährleistet zukünftige Entwicklungen in ständiger, equilibrierender innerer und äußerer Transition.
Letztlich kann erkannt werden, dass die Gründe für gutes Regieren und kluge Politik – ebenso für Wirtschaftsprozesse – in der Verantwortung der Gesellschaften und ihrer zukunftsfähigen Verantwortung liegen, bezogen auf Machtkontrolle und vor allem freien Gestaltungswillen. Und diese hängen von einer bewusst und gewollt de-personalisierten, also transpersonalisierenden gesellschaftlichen Führungskultur gemäß universeller Denkgesetzlichkeit ab. Die Equilibrierung des kreativen Spannungsverhältnisses adäquat korrespondierender Essenzen und äußerer Resonanzen schafft die transformierende Synthese menschenwürdiger Verschmelzung von Gegenwart und Zukunft. In diesem Sinne ist der freie Wille des Menschen das Energetikum und die conditio-sine-qua-non seiner ebenso freien Gesellschaften.
III. Zukunftsvision: Zivilisation und Homo Genesis
Wer die aktuelle Weltlage und vor allem die gegenwärtige Menschheitsentwicklung im noch laufenden Anthropozän betrachtet, kann dabei jedenfalls drei Richtungen egozentrischer „Visionsbildung“ feststellen: transhumanistische Projektion, Bedrohungsperzeptionen eines Weltuntergangs sowie das traditionelle Verharren in ideologisch-religiös geprägten Mustern. Sämtliche Versuche dieser Art verkennen dabei jedoch wohl auch vorsätzlich die Zentralität des Menschen für seine Zukunfts-entwicklung. Oder sollte sich der Mensch im Laufe des Anthropozän weitgehend seiner selbst entfremdet haben?
Wie oben einführend bereits festgestellt: Das Leben des Menschen und die zukunftsfähige Gestaltung seiner Entwicklungsprozesse bleibt intrinsisch an seine individuelle humane Identität und Qualität seiner Umsetzung gekoppelt. Dabei liegt die Suprematie im autonomen Subjekt, nicht im vegetativen Objekt und seiner Neigung zur Entropie. Die offensichtliche Selbstentfremdung ist umzukehren durch erinnernde und verlebendigende Rückverbindung mit dem Menschen Selbst – dem „Ewigen Selbst“ (Sörensen Kierkegaard) - , seinen inneren Welten und Prozessen. Diese Revitalisierung innerer „Radialer Energie“ (Teilhard de Chardin) aus der Totalität reflektierenden Bewusstseins ist als Basis der Gegenwart zu begreifen, aus der eine menschengerechte Zukunft entwickelt werden kann. Die Menschwerdung im auslaufenden Anthropozän wird zugleich der Brückenbau ins Noozän: aus der equilibrierenden Führung menschlichen Bewusstseins und Seins zum Erfüllungsprozess seiner Selbst gemäßen Bestimmung.
1. Noumenalität und Normativität
Führung in die Zukunft des Menschen und für den Menschen ist zuerst innere Führung aus dem Selbst und damit aus und für die Freiheit. Dabei ist die wesentlichste Immanenz die der Freiheit. Erfolgreiche Führung kommt aus individueller Determination, nie aus der Immanenz äußerer Bedingungen. Das notwendige Änderungspotential hin zur Zukunft folgt also den Prozessen innerer Räume, die erst dann mit den äußeren umsetzungsgeleitet korreliert werden.
Führende Weiterentwicklung als Evolution, als Transition und Transformation hin zu menschengerechter Zukunftsevaluation begriffen, basiert auf der – notwendigerweise individuellen – Kapazität des Geistes, auf dem kognitiven, reflektierenden wie fühlend kontemplierenden Einsatz universeller Denkgesetzlichkeit und humanen Bewusstseins. Die von der Wirklichkeit unabhängige ‚Erkenntnis aus Geist‘ – Noumenalität – bietet die unbegrenzte Reichweite und Autonomie, Zukunft zu identifizieren und zu entscheiden. Das a-priorisch erkennende Bewusstsein des Individuums kann sich aus der Normativität des Faktischen souverän emanzipieren und die relevanten Lebensbedingungen ordnen. Und so kann es gelingen, innere Freiheitsräume zur Neuordnung und Formung äußerer Lebensräume des Menschen maßstäblich prägend einzusetzen und ständig equilibrierend zu qualifizieren. Die weitgehend verflachend zirkulierenden Gegenwartsprozesse („Sackgasse“, vgl oben) werden so abgelöst und aufgelöst durch die noumenale wie normative (Maximen) innere Führung des kreativen Menschen, der um seine Zukunft weiß und diese für seine Gesellschaft beherrschbar macht.
2. Gestaltungswille und Weltformel
Der aus dem Selbst agierende und equilibrierende Mensch kommt aus dem „cogito ergo sum“ (Descartes) als autonomes Subjekt und beherrscht so seine identische und gesellschaftliche Positionierung. Aus Substanz und „radialer Energie“ (vgl. oben) transformiert er seinen innen gereiften Prozess des Findens in die Lebensprozesse der Gesellschaft – kreativ, subjektiv und kommunikativ objektivierend. Seine radiale Energie wird in eine „tangentiale“ (ebenf. Teilhard de Chardin) umgewandelt und in einem klärenden Resonanzprozess gesellschaftlich jeweils internalisiert und geformt. Individueller Gestaltungswille geht über in einen Überzeugungsprozess, um im Großen wie im Kleinen weiterführende gesellschaftliche Entwicklung zu inspirieren. So kann in ständiger Equilibrierung von Individuation und Universalität die (zwischen-) gesellschaftliche Interaktion als Transitions- und Transformationsprozess verstetigt werden.
Aus innerer Ruhung und Freiheit folgt Bewegung, die Verlebendigung von Geist , die Vergeistigung von Leben. Dabei wird die „eine entscheidende Formel“ – in der Regel aus und zur ideologisch-religiösen Fixierung äußerer Machtbedingungen – ersetzt durch die Weltformel kreativ und interaktiv verbundener, multilateraler wie unbedingter Prozesse: Zukunft ist Entwicklung aus der Gegenwärtigkeit des Bewusstseins, und Entwicklung ist unendlicher Prozess, und Prozess ist letztlich unbegrenzbare humane Metamorphose der Zivilisation. Diese Weltformel bietet auch die Potentiale des Menschen zu revitalisieren, die oft erstrebte Erlösung durch eben diese Art der Erfüllung zu erfahren – individuell erzeugt und gesellschaftlich getragen.
3. Kulturmensch und Weltordnung
Die vorstehenden Ausführungen können den Einwand provozieren, dass nicht jeder Mensch diesem „hohen“ Anspruch dieses sog idealen / idealistischen Menschenbildes entsprechen kann. Und wen oder was auch immer dieser Einwand begründen oder schützen möchte, er ist jedenfalls nicht falsch, denn der Mensch ist nicht gleich. Zugleich gilt – wie oben eingeführt: Der Mensch ist in einem Raum des freien Willens geboren und kann über jedes naturgemäße Potential verfügen, sich zum autonomen Subjekt zu entwickeln. Diese Entwicklung ist freilich ergebnisoffen, da sie die wohl größte Herausforderung ist: der Kulturmensch ist – in seiner unendlichen Vielfalt, Diversität und Qualität – Träger seiner Zivilisation und also das Energetikum seiner eigenen weiterführenden Entwicklung.
So ist der Kulturmensch – aus Bewusstsein und Sein gewachsen - unausweichlich Herr seiner Zukunft, dies ist nicht zu kompensieren, egomanisch zu projizieren oder/und zu sublimieren. In seiner inneren Führung liegt sein Schicksal und damit auch das seiner Gesellschaft begründet. Denn der homo sapiens, ein evolutiver Schöpfungsakt im äußeren Raum, hat mit der Entwicklung seines Bewusstseins den weiteren Schöpfungsprozess individuell übernommen, inkarniert und gestaltet emanativ aus den inneren Räumen seines Selbst: der homo genesis. Die Menschen der Renaissance haben es schon präludiert: Der homo genesis – mit einem „Polsprung“ vergleichbar – kommt von innen und vollzieht eine Art individueller Selbstschöpfung im Rahmen und als Teil der universellen Gesamtschöpfung. So entsteht das kosmische Gleichgewicht in verbundenen Räumen von Bewusstsein und Sein und equilibriert radiale und tangentiale Energien.
Dieser Kulturmensch, der individuelle homo genesis, aus dem „wissenden Menschen“ zum schöpfenden Menschen evolutiv selbst verantwortet, expandiert so auch seinen Fortschritt, sich im anderen Menschen und dessen Selbst-Bewusstsein wieder zu erkennen. Körper, Seele, Geist sind Basiselemente humaner Beschaffenheit, aus der exponentielle Variationen der Wahrnehmung und Wahrnehmbarkeit entstehen: Aus und auf allen Ebenen ist Liebe und Lösung, Kommunikation und Verständigung essentiell möglich – transpersonal, nicht transhuman.
Das erkennende und wahrnehmende Subjekt verfügt also über unendliche Chancen, sich equilibirerend und objektivierend mit dem anderen Individuum oder/und seinen Gruppen und Gesellschaften zu verbinden und auseinanderzusetzen. Aus dieser Verbindung (vgl. oben III, 2) des Kulturmenschen werden kreative wie konstruktive Synergien für die ständige, auch optimierende Entwicklung der Gesellschaften geschöpft. Das Potential menschengerechten Fortschritts und seiner Ordnung kann in ständiger Korrelierung von Individuation und Universalität fazilitiert werden. So entstehen aus diesen kommunikativen Klärungs- und Ordnungsprozessen Ordnungen sowie eine Weltordnung, die Gerechtigkeit und die je begründete Würde des Menschen stets weiter entwickeln und auch im Übergang grundsätzlich gewährleisten kann.
Ausblick
Die zivilisatorische Entwicklung des Menschen ist zum einen eine im wesentlichen bewundernswerte, auch erfolgreiche in der Beherrschung von Bio- und Geosphäre, soweit diese dadurch nicht ihrer Zerstörung entgegen gehen. Zum andern hat der homo sapiens das Gleichgewicht innerer und äußerer Entwicklungsräume weitgehend verlassen, da er sich nicht mehr oder noch nicht als von innen proaktiv schöpfender Mensch, eben als homo genesis erkennt und begreift.
Wer das Konzept der Kosmogenese von Teilhard de Chardin aufnimmt, kann erkennen, dass Evolution und Zukunft immer konstitutiv an die Weiterentwicklung des Bewusstseins gekoppelt ist. Die Evolution hat zuerst die Bedingungen des Entstehens von Bewusstsein geformt, danach wurde das expandierende Bewusstsein zum intrinsischen Kernelement des Menschenentwicklung und seiner Gesellschaften. So gilt auch umgekehrt: Ein Sein ohne hinreichendes Bewusstsein hinterlässt eine stagnierende Evolution ohne Elevation und bewirkt eine Endzeit, die ein mögliches Zeitenende der Zivilisation nicht ausschließt. Zugleich birgt eine Endzeit die essentiellen Ingredienzen eines Neuanfangs in sich: die selbstbestimmte Re-Balancierung äußerer und innerer Welten des Menschen unter Suprematie der letzteren.
Der Kulturmensch verfügt über das schöpferische und energetische Potential, gesellschaftliche „Sackgassen“ (vgl. oben letzter Absatz II 2) aufzulösen, wie sie sich immer wieder in politischen und ökonomischen, autokratischen wie neo-feudalistischen, also Menschen abgewandten Dominanzen letztlich wohl ausweglos materialisiert haben. Der Mensch als Subjekt und Fazilitator seiner Kultur wird die Determination und auch die Handlungsmacht für zukunftsfähige, humane Zivilisations-entwicklung immer wieder zurück gewinnen können: Souverän und dynamisch equilibrierend, zugleich frei von ideologischen und religiösen Messianismen, die zu überwunden sind.
Wenn es dem Kulturmenschen als homo genesis gelingt, sich aus innerer Bestimmung – Transzendenz, Geist und Gefühl – kreativ-innovativ zu formen, kann er Mensch-Sein aus dem Selbst erfüllen. Und wenn er beginnt, „nicht aussen zu suchen, was er in sich trägt“ (in Anlehnung an Gandhi), sondern von innen nach außen zu tragen, was er finden und gestalten will, dann erhebt er sich oft beschworener Erlösung entgegen. Zukunft ist dann nicht die Ersatzprojektion eines begrenzten Egos, sondern zeitlose Elevation, die Öffnung in die Universalität equilibrierend entwickelnder Gesellschaftswelten als Teil eines kosmischen Kontinuums. Denn das sog. Paradies war vielleicht außen verloren, nie aber innen.
© J MICHAEL HEYNEN | GRÜNDER UND PRÄSIDENT DES SENATE OF CULTURES
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