Donnerstag, 29. Juni 2023

KRISE - TRANSITION - NEUORDNUNG

 

Konzeptionelle Reflexion von J Michael Heynen



I


Nach langer Entwicklung hat in den letzten fünfzig Jahren die Menschheit einen Zustand erreicht, in dem sie die faktische Herrschaft über ihren Heimatplaneten, die Erde, wesentlich übernommen hat: Quantität und Qualität menschlicher Aktion und Interaktion sind zentrale Ursachen planetarischen Lebens und Überlebens. Der Mensch – nie „Herr der Schöpfung“, jetzt ihr verantwortlichster Teil - wurde Begründer seines „eigenen“ Zeitalters, dem Anthropozän.


Menschenbilder und Kulturen wurden geformt, das Rad und der Buchdruck usw. sind erfunden, Ideen und Religionen, Visionen und Utopien gestiftet, oft universell projiziert und ebenso oft verworfen. Der Mensch hat geboren und vernichtet, gelernt und verlernt, bewirkt und verwirkt, er ist Gründer, Träger und potentieller Zerstörer der Zivilisation, jedenfalls aber führender und nur durch die Immanenz der Freiheit beschränkter Gestalter seiner Gesellschaftswelten.


Mit Eintritt in diese anthropozänische Gegenwart – zugleich „Quellcode“ einer Zukunft – hat die Menschheit die oft spät-pubertierende Pilotphase ihres Seins und Bewusstseins verlassen. Jetzt ist es also am Menschen Selbst, in umfassender Verantwortung eine Zukunft der Schöpfung und Zivilisation auf diesem Planeten zu gewährleisten. Dies ist zugleich die Geburtsstunde des endgültig umfassend ko-kreativen Menschen: So hängt es unwiderruflich direkt und ungeschützt vom Menschen Selbst und seiner Zivilität ab, Schöpfungsraum und -zeit als solche des freien Willens zu begreifen und zu verantworten.




II


Und kaum hat der Mensch – teils noch immer ob des behaupteten Paradiesverlustes befangen – das „goldene Zeitalter“ freien Willens und ungehinderter Schöpfungskraft betreten, wacht er in Regress und fundamentaler Krise auf. Die alte Welt, vor allem die der Herrschaft des Habens, vaporisiert zunehmend, und Versuche des Bewahrens enden zumeist in Gewalt, Usurpation und Verlusthysterie. Existenzängste absorbieren Krisen wendende Freiheitspotentiale, eine „letzte Generation“ wird proklamiert, die Fehlbarkeit des Menschen in transhumanistischen Heilslehren als Verhinderung des projizierten Armageddon zum Schein gelöst. Auch eine martialische Rhetorik von sog. „Zeitenwende“ kann da keine rettenden Horizonte schaffen – zumal allein mit höheren Militärbudgets begründet.


Zutreffend ist dennoch: Wir sind in eine Wendezeit eingetreten, eine Zeit der Entscheidung! Und diese Entscheidung ist aus „Wille und Vorstellung“ über die menschliche Zukunft zu fällen. Denn die aktuelle Gegenwart ist lediglich die Schlussphase vorhergehender Entwicklung, geprägt von einseitiger Konzentration auf das Äußere, die Materialität menschlicher Existenz, dominiert von egomanischen Projektionen in Ökonomisierung und Technisierung des Lebens sowie die ausschließliche Einrichtung im „Unterbau“ menschlicher Potentiale.


Trotz großartigster Leistungen gerade auch in den letzten 200 Jahren: Aus dieser Sackgasse rein existentieller Bewältigung wird der Mensch wohl nur dann herausfinden, wenn es gelingt, die grundsätzlichen Transformationspotentiale der Krise zu identifizieren und Wandlungsprozesse einzuleiten. Die zentrale Herausforderung wird dabei in der Entscheidung liegen, wieder und endgültig ins Humane „aufzuschließen“. Diese Leistung beschreibt den Aufbau eines ganzheitlichen Equilibriums, kurz: „Leben zu vergeistigen, Geist zu verlebendigen!“ (nach Marc Jongen). Geist ohne Leben bleibt Theorie und Abstraktion, aber Leben ohne Geist erstarrt in Nihilismus und Verelendung. Und genau letzteres beschreibt die hintergründige Dimension heutiger Krisenszenarien als reine Konsequenz zu langer Selbst-Verachtung und hingenommener Unmündigkeit. - Daher steht jetzt die Entscheidung für die universale Kapazität des Menschen Selbst an, in einem so begriffenen Equilibrium die endlose Schöpfungskraft aus dem Humanen für die Zukunft zu entfalten.




III


Wenn sich der Mensch für ein zukunftsfähiges Equilibrium entscheidet, so kann dies nur ohne Angst, Vorurteil und Anhaftung, umso mehr in Akzeptanz der Krise als Folge der Selbst-Entmündigung geschehen. In vor allem innerer Einkehr, Ruhe und Zentrierung wird der Mensch gewahr, dass Zukunft am wenigsten lineare Hochrechnung zumal bisheriger Gegenwärtigkeit ist. Der „einatmende“ Mensch realisiert und begreift seine Entfremdung durch die Diffusion des Habens und rein Äußeren, er öffnet sich also nach Innen, damit zur Transition.


Transition beschreibt hier die Hybridität des zukunftsfähig zu Leistenden - noch im A-Posteriori lebend und doch das A-Priori erkennend - die Phänomenalität des Seins durch die Noumenalität des Bewußtseins dimensional zu erweitern und zu ergänzen, also den Bau am Equilibrium zu beginnen – anders gewendet: die Konditionierung des Seins konsequent aus der Determination des Bewußtseins zu steuern. Dieser Prozess beginnt individuell und dehnt sich erhöhend im Systemischen, im Gesellschaftlichen.


Nicht mehr die empirische „Objektivität“ höchst subjektiv-egozentrischer Existentialität, sondern die zeitlose, individuelle Leistung Geist entlehnter Objektivierung führt in die äußere gesellschaftliche Korrelation. Nicht mehr die Normativität der Außenwelt durch egomanische Projektionsflächen theologisch-ideologischer Erlösungsversuche, sondern die Normativität der individuell geistig deduzierten Vernunft ist die bestimmende Basis gesellschaftlicher korrelierender Überzeugungsprozesse und koordinierender Umsetzung (Regieren).


So ist das zu erzeugende Equilibrium nicht allzu fern, wenn der Mensch Laborversuche und Pilotierungsphasen großartiger Leistungen als Basis des innovativ-kreativen Wechsels begreifen: Leben haben wir, den Sinn des Lebens stiftet aber nur Geist. Dann kann die Wendezeit zur Zeitenwende werden, also zu erkennen, die humane Verantwortung des anthropozenischen Zeitalters anzunehmen, proaktiv auszugestalten und eine menschengerechte Zukunft aus den Determinanten des Geistes zu formen.




IV


Wenn der Mensch entschieden hat, seine Metamorphose zu beginnen und Vorurteile, Anhaftungen, Ängste zu neutralisieren, öffnet sich die Transition hin zu den universellen Kapazitäten menschengerechter Prozesse der Zukunftsentwickung: Von und für denkende und fühlende Menschen, als liebender und authentischer Mensch aus dem „cogito ergo sum“. Zukunft wird dann nicht mehr Belohnung sein, sondern Ergebnis, die freie Konsequenz des Primats realer Menschenwürde, der Suprematie humaner wie humanistischer Neuordnung.


Die griechisch-römische Antike – vor allem auch als greco-buddhistische Rezeptionsleistung , die Renaissance und die Aufklärung werden zeitlos erkenntnisleitende Sinnstiftung bieten, Bewusstsein und Sein des zukunftsfähigen Menschen neu zu ordnen. Es ist so am Menschen Selbst, in seiner Zeit die gebotene Exzellenz zu erarbeiten und so das Kontinuum des Equilibriums zu gewährleisten. In dieser menschlichen Leistung und Kapazität – humane Zivilität - liegt zugleich die Gewährleistung seines Lebens.


Im Anthropozän kann so der Mensch zum eigentlichen Ko-Kreator aufsteigen: Das Kontinuum des humanen Equilibriums, Geist zu leben, Leben zu vergeistigen, ist der analoge Wirkmechanismus zur kosmisch-gesetzlichen Konstante. Daher heißt Transition der Menschentwicklung, von der horizontalen zur vertikalen Priorität seiner Gestaltungs- und Lebensprozesse voranzuschreiten: das vertikal geführte Equilibrium als paradigmatisch willensstiftende Achse horizontaler Lebensvielfalt und freier Variation, zugleich Sinnstiftung und Gewährleistung menschlicher Zivilisation ("vertikale Equilibrierung").




V


Der Quellcode vertikaler Versäulung im Equilibrium liegt in der inneren Führung aus des Menschen Selbst. Und daraus entsteht die notwendige Determination als Basis Not wendender sowie Zukunft stiftender Legitimation. Die determinierende Vertikale kosmischer und vernünftiger Denkgesetzlichkeit erzeugt die regelnde und lösende Normativität der Ordnung in der äußeren Konditionierung von Sein und Haben. Die Innenwelt, das Bewußtsein, schöpft also die Erkenntnis aus dem (einzigen) Absoluten, die Außenwelt korreliert und koordiniert die Umsetzung im Raum des freien Willens. Und da, wo sich die Achse der Transzendenz mit der Realität kreuzt, dieser Kreuzpunkt, diese Mitte beschreibt die Wahrnehmung und Entwicklung von Ästhetik und Kultur; hier wird die Erhabenheit und essentielle Elevation individueller Selbst-Wahrnehmung sowie gesellschaftlicher Narrative gezeugt und generiert, zugleich existentiell verbunden.


So kann insbesondere künftiges Regieren auch gewaltfrei gelingen, wenn sich Menschen Zeit und Raum der Transitionsentwickung gewähren, sich konsequent von Innen aus zu befreien und vom Primat der äußeren Welt zu emanzipieren. Die daraus mögliche Neuordnung auch der Gesellschaftswelten wird die Zukunft menschlicher Zivilisation nicht nur kontinuierlich sichern, sondern das Humane - seiner Ur-Würde entsprechend - in die nach wie vor anstehende, maßgebliche Entfaltung führen.


Nicht das überkommene Individuum der Egozentrik und personaler Machtinteressen ist Träger dieser Macht (des Geistes), umso mehr aber das Individuum, das sich aus seinem Selbst gewählt hat. Erst das Selbst – aus der Kraft des einzigen Absoluten – schafft Autonomie, Souveränität und prinzipale Legitimität. Das Selbst steuert Qualitäten sowie drängende Eigenschaften und Interessen des Egos hin zu ausgleichender Vernunft aus der Suprematie des Geistes. Diese so konstituierte Macht - aus höchster humaner Selbst-Verfügung und Ermächtigung - bedarf nicht mal mehr quantitativer Mehrheiten und Quoten. Die Autorität des Geistes, also daraus gefasster Wille ins Äußere gewendet, verhandelt transparent und überzeugt sinn- und wahrheitsstiftend. In der Generierung vernünftiger Wahrheitsnäherung liegt die existentielle Gewährleistung einer humanen, also menschengerechten Zukunft. Aus innerer Führung entsteht so die Herrschaft des Besten, inkorporiert durch die Herrschaft der Besten, um den Raum des freien Willens adäquat zur universellen wie menschlichen Schöpfungsgesetzlichkiet zu synchronisieren und kontinuierlich weiter zu entwickeln. Die humanoide Person wird zum Menschen, sein Selbst zum ko-kreativen „Generator“ und Innovator der Zivilität seiner equilibralen Gesellschaftswelten.


Das Equilibrium birgt die Potentiale der Synthese von Noumenon und Phenomenon, von Transzendenz und Immanenz, von Metaphysik und Physik und damit die Voraussetzungen erfolgreicher Beherrschung von Krise, Transition und Zukunftsprozessen. Die Suprematie des Geistes zur klugen Anwendung vernunftgeleiteter Denkgesetzlichkeit gewährt die (zu) lange unterschätzte Wirkmacht des Geistes als universell-normative Quelle für die Findungsprozesse von Wahrheit und Richtigkeit. Träger dieser Entwicklung ist das unabhängige, vom Selbst bestimmte, de-personalisierende Individuum. Daraus konstituieren sich prinzipalische Zivilität, Führung und Legitimität systemischer Neuordnung zukunftsfähiger, weil humaner Gesellschaftswelten.




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