Samstag, 24. Februar 2024

Demokratische Außenpolitik - und „außenpolitische Demokratie“?

 

Ein Essay zur Notwendigkeit westlicher Außenpolitik-Transformation


von J Michael Heynen




Dieser Planet ist Teil des Universums und also ein Raum des freien Willens. Kulturelle Historizität und territoriale Zuordnung haben dafür im Spannungsverhältnis von Anarchie und Hierarchie Bedingungen erzeugt, unter denen jedenfalls ein Drittel der Menschen in Autokratien / Diktaturen leben. Das internationale System ist daher nach wie vor anarchisch (auch hierarchisch) geprägt und das Erfolgsmodell einer ‚freiheitlich-demokratischen Grundordnung‘ ist kein normativer Imperativ einer Weltordnung.


Demokratische Außenpolitik versieht sich jeweils gesellschaftlicher, innenpolitischer (repräsentativer) Willensbildung, um im äußeren Handlungsrahmen der Diplomatie dementsprechend zu interagieren (bi- und multilateral). Die äußere Souveränität basiert also auf der inneren bzw. auf dem jeweiligen Legitimationsprozess. Diese jüngere Entwicklung zu demokratischer Außenpolitik hat zu deutlich höherer gewaltfreier Konfliktfähigkeit, transformierender Kooperation und Wohlfahrt geführt. Auch der Entfaltungsraum menschlicher Kreativität und friedlicher Lebensentwürfe ist wesentlich expandiert (z. B. EU).


Freilich ist selbst-kritisch festzustellen, dass das sog. „westliche Modell“ ebenfalls dem Risiko des Rückfalls in Attitüden, auch Langfriststrategien absolutistischer Außenpolitiken ausgesetzt ist und dominante Hierarchien / Hegemonien bedingen, die ebenso Kriegsrisiken aufgrund der substantiellen Entkopplung freiheitlich-demokratischer Legitimationsprozesse provozieren. Außenpolitik verkommt dann zur rein formaler, administrativer „Souveränität“. Kurz: Fehlende innere Legitimation fürhrt zur äußeren Abkehr von Pluralismus, Transparenz und Integrität sowie vertrauensvoller Kooperation. Leben gefährdende Interaktion bis hin zu Krieg bilden das verbliebene Handlungsspektrum der Außenpolitik, eingefasst in geopolitische Wettbewerbsinteressen sowie egomanische Feindbild- wie messianistische Machtprojektionen. Diplomatie wird dann jeweils marginalisiert, Außenpolitik durch Sicherheitspolitik („Verteidigungspolitik“) restlos kannibalisiert - statt Deeskalation und Konflikttransformation: „Inflation“ des Kriegerischen!


Diese Entwicklung ist Menschen gemacht, entspricht aber nicht seiner humanen Kapazität. Insbesondere der technologische Progress – inkl. wehrtechnischer Overkill-Kapazität und KI – führt in die zivilisatorische Dimension jeweiligen außenpolitischen Verhaltens. Geschichte kann, muss sich aber nicht wiederholen, denn es liegt im/am Menschen Selbst. Zumindest die zivilisatorische Normativität westlicher Gesellschaften und Politikentwürfe birgt das wesentliche Potential weltrodnungsrelevanter Außenpolitiken, wenn sie den Imperativ ihrer Bestimmung transformieren:


Der Erfolg und Zukunftspotentiale demokratisch verfasster Gesellschaften im Falle integrer staatlicher Organisation ist grundsätzlich unbestreitbar. Traditionell wird dies – die Demokratiefunktionen – auf die jeweiligen Innenpolitiken bezogen – auch wegen der erforderlichen regierungspolitischen Legitimation. Denkbar aber ist es – und in systemlogischer Konsequenz auch zu leisten -, innenpolitische Demokratie analog in einer Außenpolitik eben als außenpolitische Demokratie zu spiegeln: als Willensbildungs-, Legitimations- und Handlungsprozess. Dabei ist freilich von vornherein auszuschließen, innenpolitische Demokratie zu „exportieren“. Denn Demokratie entsteht aus der innen erzeugten Freiheit des Menschen und seiner Gesellschaften und ist daher immer auch missionsfeindlich bzw grundsätzlich immun gegen auch selbst psychisch vermittelte Gewalt sog Weltverbesserung. Die weltweit zahllosen Menschen- und Völkerrechtsverletzungen sind unerträglich, dennoch ist etwa auswärtige Menschenrechtspolitik weitgehend erfolglos und ist unter strikten Voraussetzungen auf die humanitäre Intervention zu beschränken.


Als Folge liberaler Bewegungen des 18.-20. Jahrhunderts wurden bis hin zur Integration föderaler Systeme zuerst außenpolitische Demokratien begründet: USA, Deutsches Reich, EU usw. Als erster überregionaler wie weltweiter Versuch können auch Völkerbund wie UN gewertet werden, Außenpolitiken etwa nach den Grundsätzen der Wilson-Doktrin kollektiv koordinierend zu verbinden. Unabhängig von institutionellen internationalen Verfahren sind auch erfolgreiche außenpolitische Demokratiestrategien wie im Rahmen der Entspannungspolitik ab Anfang der 70er Jahre des 20. Jahrhunderts einzuordnen. Antagonistischer Systemwettbewerb einer scheinbar intransischen Konfliktfigur wurde kooperativ dialogisch wie kreativ so gelöst, dass seinerzeit unterdrückte Gesellschaften ihren selbstbestimmten und also Emanzipationsprozess ingang setzen konnten. In vertrauensbildenden Kooperations-Regimen wurde undemokratische Machtstaatlichkeit und Despotie über ihre engen Grenzen hinaus geführt und im Kern aufgelöst.


Der Pessimismus eines Tocqueville – „Demokratie kann in anarchischen Systemen nicht überleben“ – war also unbegründet. Denn Freiheit als Grundparadigma von Zivilität und „Ewigem Frieden“ überzeugt und entwickelt, Unfreiheit dagegen ist Todes geweiht und kann bestenfalls gewaltbasiert überleben. Dennoch ist – Tocqueville anders gewendet – die Verführung auch gerade der westlichen Staaten und ihrer Außenpolitiken groß, sich womöglich Angst wie Feindbild gestützt auf das anarchische Spiel einzulassen und sich dann auch letztlich gegen seine innenpolitisch demokratische Essentialität treiben zu lassen. Extremismus, Nationalismus, Rüstungsspiralen, Menschenverachtung und Ressourcenvernichtung in unabsehbarem Ausmaß sind die Folgen. Die gesellschaftliche Autonomie und staatliche Souveränität werden so trotz im Zweifel auch bester Wehrfähigkeit paralysiert. - In einer demokratischen Außenpolitik mit dem Ziel außenpolitischer Demokratieentwicklung ist daher wohl die einzig zukunftsfähige zivilisatorische Lösung zu erkennen. Im Kern erscheinen dafür u. a. folgende Determinanten substantiell:


1. Vorbildliche Gewährleistung innenpolitischer Umsetzung einer freiheitlich-demokratischen Grundordnung und Weiterentwicklung von Freiheitskulturen sowie Menschenrechten und internationalem Recht und Rechtsanwendung ohne Doppelstandards

2. Vorbehaltlose und wertneutrale Kommunikation mit jedem dialogfähigen gesellschaftlichen und staatlichen Subjekt der internationalen Arena mit dem Ziel, substantielle Kooperation zu etablieren, oder umgekehrt: Non-Kommunikation und friedliche Koexistenz

3. Grundsätzliche Respektierung und Gewährleistung unterschiedlicher, eben auch abweichender Entwicklungswege und Geschwindigkeiten ‚anderer‘ Gesellschaften, kultureller Identitäten und innenpolitischer Systeme zur Stärkung von Selbstverantwortung und innovativ entwickelnder Eigenlösungen

4. Neutralität und Nicht-Intervention im Falle symmetrischer wie asymmetrischer regionaler und/oder innenpolitisch-gesellschaftlicher Konflikte; ein Hilfsersuchen kann nur auf globaler (UN-) Ebene beantwortet werden, basierend auf klarem, robustem Mandat

5. Strikter Verzicht auf Doppelstandards zur Stärkung von Transparenz und Integrität, Nutzung kooperativ integrierter Geheimdienstkapazität zur Etablierung neutraler Verifikationsregimes

6. Insbesondere zivilgesellschaftliche Beziehungsebenen sind für aufklärungsorientierte, emanzipatorische Dialogprozesse zu so z B. Rechtsstaatsdialoge, Kooperation zur selbständigen fdGO-Etablierung etc. (ohne Erfolgsparametrisierung, Korrumpierung oder Belohnungsstrategien aus herkömmlichen oder neuen „hidden agendas“)

7. Beziehungspflege ohne egomanische Projektion, Auserwähltheitsmechanismen und geistig fehlgeleiteter Überlegenheit oder Suprematie, sondern freundschaftliche Anerkennung von pluralistischen Leistungs- und Lernprozessen, bi-/multilateral Fazilitierung hin zur jeweiligen Selbstführung in inter- / gesellschaftlichen Projekten und Netzwerken etc.

8. Etablierung von Kooperationsplattformen in den Bereichen Kunst und Kultur, Technik und Wissenschaft etc. als je spezifische Organisationsformen menschlich-kulturell offener Verschränkungsprozesse im Sinne klassischer wie innovativer, noumenaler Diplomatie

9. Außenpolitischer Primat ist der „Kategorische Imperativ“ (Kant) als Entwicklungsmaxime der Politik der Internationalen Beziehungen: das internationale System stiftet den Orchestrierungsprozeß außenpolitischer Demokratisierung sowie die strukturelle Basis

10. Regelbasierte Generierung einer realen Weltordnung freier Subjekte und ihrer partizipatorisch-synthetischen Beziehungen durch inter-humane / zwischen-gesellschaftliche, heterarchische Netzwerke / Cluster als (den Staaten) gleichwertige treibende Kraft internationaler Außenpolitik- / Diplomatie-Transformation.



[ Eine weiter systematisierende Konzeption zur „Außenpolitischen Demokratie“ und / oder „Internationalisierung der Demokratie“ wird vom IRC International Regimes Council in Kooperation mit NOMOI Institute vorbereitet ]



© J Michael Heynen I R C