Montag, 11. Juli 2016




TRANSFORMATION  EUROPAS


Insbesondere seit dem Brexit ist die dringende Notwendigkeit der Transformation Europas bzw. der EU deutlich zutage getreten. Diese Transformation ist wohl nur dann zu leisten, wenn sie eine gesellschaftliche ist. Dazu gehören im erforderlichen Umfang auch sog. Wirtschaftseliten. Sie haben – aus deutscher Sicht – einen zwar bescheidenen, zugleich dennoch klugen ersten Ansatz gewählt: Europas Entwicklung ist vom Willen abhängig sowie von unterschiedlichen Geschwindigkeiten statt von integrationsfixierter Gleichschaltung …  




Deutsche Wirtschaftslenker wollen ein anderes Europa


Ein "Weiter so" in der Europäischen Union kommt nach dem Brexit-Schock für die Mehrheit der deutschen Wirtschaftslenker nicht infrage. Stattdessen spricht sie sich für eine überraschende Idee aus.



Ein "Weiter so" in der Europäischen Union kommt nach dem Brexit-Schock für die Mehrheit der deutschen Wirtschaftslenker nicht infrage. Stattdessen spricht sie sich für eine überraschende Idee aus.

Die Brexit-Entscheidung der Briten hat Politik und Wirtschaft genauso unvorbereitet getroffen wie die Finanzmärkte. In den Hauptstädten und den Konzernzentralen Europas überlegt man deshalb in diesen Tagen fieberhaft, wie es mit dem Kontinent weitergeht. Soll es mehr Europa geben? Ist weniger Brüssel ratsam? Oder soll es ein ganz neues Europa geben?

Deutschlands Wirtschaftselite hat offenbar eine relativ eindeutige Vorstellung, wie es weitergehen soll. Sie will den Erhalt der Europäischen Union. Allerdings kommt ein "Weiter so" für die meisten Topmanager nicht infrage.

Stattdessen spricht sich die Mehrzahl für eine überraschende Idee aus. Europa müsse zwar zusammenbleiben, doch nur die Willigen sollen auch weitergehen. Das ist das Ergebnis einer Umfrage unter den Mitgliedern des Leaders Parliament von Roland Berger und der "Welt"-Gruppe. Darin sprechen sich knapp 52 Prozent der befragten Topmanager für ein "Europa der zwei Geschwindigkeiten" aus. Würden nicht alle 27 EU-Staaten bei wichtigen Entscheidungen mitziehen, müssten eben einige wenige starke, wie Deutschland und Frankreich, vorangehen.


Die EU soll um jeden Preis gerettet werden

Eine generell stärkere Integration aller Mitgliedstaaten befürwortet nur jeder zehnte Topmanager. Noch mehr Einfluss für Brüssel ist für die befragten Entscheider keine allzu attraktive Perspektive. Doch auch ein Zurück zu mehr Nationalstaat lehnen die meisten ab. Lediglich 30 Prozent können sich für diese Idee erwärmen.


Neu ist die Idee der zwei Geschwindigkeiten nicht. Im Gegenteil. Sie hat sich sogar schon bewährt. Etwa 1985, als sich Deutschland, Frankreich und die Beneluxstaaten auf das Schengener Abkommen einigten – und damit auf die Abschaffung der Grenzkontrollen. Viele andere Staaten kamen später hinzu, bis es dann mit dem Amsterdamer Vertrag im Jahr 1999 ins EU-Recht integriert wurde.

Bereits 1994 wurde der Begriff "Kerneuropa" durch die gemeinsame Idee der CDU-Politiker Wolfgang Schäuble und Karl Lamers geprägt. Sie forderten, dass es innerhalb der Europäischen Union eine Gruppe von Staaten geben müsse, die durch engere Zusammenarbeit das große Ziel der europäischen Integration voranbringen. Im Mittelpunkt stand das Duo Deutschland und Frankreich, flankiert von Belgien, den Niederlanden und Luxemburg.


Brüssel schafft gern und schnell Fakten

Sogar der damalige grüne Außenminister Joschka Fischer plädierte vor ziemlich genau 16 Jahren in einer Grundsatzrede für die Idee des Kerneuropa. Damals sah er es als sinnvoll an, die bevorstehende EU-Osterweiterung zu meistern, indem man eine Gruppe von "besonders engagierten Staaten" schaffe. Auch hier sah er Deutschland und Frankreich in der Führungsrolle.

Ökonomisch betrachtet, ist gegen mehr Flexibilität nichts einzuwenden. Denn Europas Nationen sind nicht nur gesellschaftlich und kulturell sehr verschieden. Auch die Volkswirtschaften und Arbeitsmärkte funktionieren ganz unterschiedlich. Länder wie Griechenland, Italien, Finnland oder Deutschland sind schwer vergleichbar. Die Idee des Europas der verschiedenen Geschwindigkeiten würde dieser Realität Rechnung tragen. Und holt eine schwächere Nation ihren Rückstand auf, ließe sie sich ohne Weiteres in das "Führungsteam" aufnehmen.

So weit die Theorie. Doch Brüssel denkt zuerst politisch und schafft gern und schnell Fakten. Ökonomische Wahrheiten werden dabei oft verdrängt und müssen sich dem politischen Willen unterordnen. Ein besonders drastisches Beispiel dafür ist die Einführung des Euro gegen alle Warnungen von Ökonomen – mit verheerenden Folgen für einige Staaten.

Wer jetzt eine engere Kooperation der Willigen fordert, riskiert dabei, dass sich wieder wirtschaftlich ungleiche Staaten zusammentun. Schon die Schlüsselstaaten der EU – Frankreich und Deutschland – sind wirtschaftlich extrem unterschiedlich aufgestellt. Folglich haben sie auch politisch voneinander abweichende Ziele.


Quelle:

 


Europa der Zukunft: Umfrage "Leaders Parliament"


Nach dem Brexit diskutiert Europa über einen Neustart der EU. Welches Europa würden Sie präferieren



A
Mehr europäische Integration, also mehr Einfluss und Steuerung durch Brüssel:
11,1%
B
Stärkung der Nationalstaaten, also mehr Deutschland (Frankreich, Italien etc.), weniger Brüssel:
30,8%
C
Ein Europa der zwei Geschwindigkeiten. Ziehen nicht alle 27 EU-Staaten bei wichtigen Entscheidungen mit, müssen eben einige wenige starke wie Deutschland und Frankreich vorangehen:
51,6%
D
Keine Angabe: 6,5%



Quelle: