TRANSFORMATION EUROPAS
Insbesondere seit dem Brexit ist die dringende Notwendigkeit der Transformation Europas bzw. der EU deutlich zutage getreten. Diese Transformation ist wohl nur dann zu leisten,
wenn sie eine gesellschaftliche ist. Dazu gehören im erforderlichen Umfang auch
sog. Wirtschaftseliten. Sie haben – aus deutscher Sicht – einen zwar bescheidenen,
zugleich dennoch klugen ersten Ansatz gewählt: Europas Entwicklung ist vom
Willen abhängig sowie von unterschiedlichen Geschwindigkeiten statt von
integrationsfixierter Gleichschaltung …
Deutsche
Wirtschaftslenker wollen ein anderes Europa
Ein "Weiter so"
in der Europäischen Union kommt nach dem Brexit-Schock für die Mehrheit der
deutschen Wirtschaftslenker nicht infrage. Stattdessen spricht sie sich für
eine überraschende Idee aus.
Ein "Weiter so"
in der Europäischen Union kommt nach dem Brexit-Schock für die Mehrheit der
deutschen Wirtschaftslenker nicht infrage. Stattdessen spricht sie sich für
eine überraschende Idee aus.
Die Brexit-Entscheidung
der Briten hat Politik und Wirtschaft genauso unvorbereitet getroffen wie die
Finanzmärkte. In den Hauptstädten und den Konzernzentralen Europas überlegt man
deshalb in diesen Tagen fieberhaft, wie es mit dem Kontinent weitergeht. Soll
es mehr Europa geben? Ist weniger Brüssel ratsam? Oder soll es ein ganz neues
Europa geben?
Deutschlands
Wirtschaftselite hat offenbar eine relativ eindeutige Vorstellung, wie es
weitergehen soll. Sie will den Erhalt der Europäischen Union. Allerdings kommt ein "Weiter
so" für die meisten Topmanager nicht infrage.
Stattdessen
spricht sich die Mehrzahl für eine überraschende Idee aus. Europa müsse zwar
zusammenbleiben, doch nur die Willigen sollen auch weitergehen. Das ist das
Ergebnis einer Umfrage unter den Mitgliedern des Leaders Parliament von Roland
Berger und der "Welt"-Gruppe. Darin sprechen sich knapp 52 Prozent
der befragten Topmanager für ein "Europa der zwei Geschwindigkeiten"
aus. Würden nicht alle 27 EU-Staaten bei wichtigen Entscheidungen mitziehen,
müssten eben einige wenige starke, wie Deutschland und Frankreich, vorangehen.
Die
EU soll um jeden Preis gerettet werden
Eine
generell stärkere Integration aller Mitgliedstaaten befürwortet nur jeder
zehnte Topmanager. Noch mehr Einfluss für Brüssel ist für die befragten
Entscheider keine allzu attraktive Perspektive. Doch auch ein Zurück zu mehr
Nationalstaat lehnen die meisten ab. Lediglich 30 Prozent können sich für diese
Idee erwärmen.
Neu ist die Idee der zwei
Geschwindigkeiten nicht. Im Gegenteil. Sie hat sich sogar schon bewährt. Etwa
1985, als sich Deutschland, Frankreich und die Beneluxstaaten auf das Schengener Abkommen einigten
– und damit auf die Abschaffung der Grenzkontrollen. Viele andere Staaten kamen
später hinzu, bis es dann mit dem Amsterdamer Vertrag im Jahr 1999 ins EU-Recht
integriert wurde.
Bereits 1994 wurde der Begriff
"Kerneuropa" durch die gemeinsame Idee der CDU-Politiker Wolfgang Schäuble und
Karl Lamers geprägt. Sie forderten, dass es innerhalb der Europäischen Union
eine Gruppe von Staaten geben müsse, die durch engere Zusammenarbeit das große
Ziel der europäischen Integration voranbringen. Im Mittelpunkt stand das Duo
Deutschland und Frankreich, flankiert von Belgien, den Niederlanden und
Luxemburg.
Brüssel schafft gern und schnell
Fakten
Sogar der damalige grüne Außenminister Joschka Fischer plädierte
vor ziemlich genau 16 Jahren in einer Grundsatzrede für die Idee des
Kerneuropa. Damals sah er es als sinnvoll an, die bevorstehende
EU-Osterweiterung zu meistern, indem man eine Gruppe von "besonders
engagierten Staaten" schaffe. Auch hier sah er Deutschland und Frankreich
in der Führungsrolle.
Ökonomisch
betrachtet, ist gegen mehr Flexibilität nichts einzuwenden. Denn Europas
Nationen sind nicht nur gesellschaftlich und kulturell sehr verschieden. Auch
die Volkswirtschaften und Arbeitsmärkte funktionieren ganz unterschiedlich.
Länder wie Griechenland, Italien, Finnland oder Deutschland sind schwer
vergleichbar. Die Idee des Europas der verschiedenen Geschwindigkeiten würde
dieser Realität Rechnung tragen. Und holt eine schwächere Nation ihren Rückstand
auf, ließe sie sich ohne Weiteres in das "Führungsteam" aufnehmen.
So weit die Theorie. Doch
Brüssel denkt zuerst politisch und schafft gern und schnell Fakten. Ökonomische
Wahrheiten werden dabei oft verdrängt und müssen sich dem politischen Willen
unterordnen. Ein besonders drastisches Beispiel dafür ist die Einführung des
Euro gegen alle Warnungen von Ökonomen – mit verheerenden Folgen für einige
Staaten.
Wer jetzt eine engere
Kooperation der Willigen fordert, riskiert dabei, dass sich wieder
wirtschaftlich ungleiche Staaten zusammentun. Schon die Schlüsselstaaten der EU
– Frankreich und Deutschland – sind wirtschaftlich extrem unterschiedlich
aufgestellt. Folglich haben sie auch politisch voneinander abweichende Ziele.
Quelle:
Europa der Zukunft: Umfrage "Leaders Parliament"
Nach dem Brexit diskutiert Europa über einen Neustart der EU. Welches Europa würden Sie präferieren
A
|
Mehr europäische Integration, also mehr Einfluss und Steuerung
durch Brüssel:
11,1%
|
B
|
Stärkung der Nationalstaaten, also mehr Deutschland
(Frankreich, Italien etc.), weniger Brüssel:
30,8%
|
C
|
Ein Europa der zwei Geschwindigkeiten. Ziehen nicht alle 27
EU-Staaten bei wichtigen Entscheidungen mit, müssen eben einige wenige starke
wie Deutschland und Frankreich vorangehen:
51,6%
|
D
|
Keine Angabe: 6,5%
|
Quelle:
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